Eine innere Revolution

 

Mit den Worten Adyashantis:

Der Punkt hier ist das Erwachen, richtig? Es geht nicht darum zu lernen, wie du dich selbst unterdrückst, damit du dich besser fühlst. Es geht darum, wie du zur Realität deines Seins aufwachst. Und wir wachen zur Realität unseres Seins auf, wenn wir uns auf unsere menschliche Natur beziehen, nicht wenn wir sie vermeiden. Nicht wenn wir sie umgehen. Nicht durch den Versuch, sie weg zu beten, weg zu mantraieren oder weg zu meditieren. Wir wachen auf, wenn wir alles sich in uns offenbaren, fühlen, erfahren und ans Licht kommen lassen. Dann und nur dann können wir uns auf einen tieferen Level begeben. Das ist sehr, sehr wichtig und wird von vielen Menschen missverstanden. Es ist einfach, meditative Techniken anzuwenden, um unsere menschlichen Erfahrungen und die Dinge zu unterdrücken, die wir nicht fühlen wollen. Aber wozu wir jetzt aufgerufen sind, ist genau das Gegenteil. Wahre Meditation ist der Raum, in dem alles offenbart wird, in dem alles gesehen wird und in dem alles erfahren wird. Und so lässt es sich selbst los. Wir lassen es nicht einmal los. Es lässt sich selbst los.

Die Erleuchtung, von der ich spreche, ist nicht einfach eine Erkenntnis, nicht einfach die Entdeckung deiner wahren Natur. Diese Entdeckung ist nur der Anfang – der Eintrittspunkt in eine innere Revolution. Die Erkenntnis garantiert diese Revolution nicht. Sie macht sie lediglich möglich.

Was ist diese innere Revolution? Revolution ist erst einmal nichts Statisches. Sie ist lebendig, kontinuierlich und durchgehend. Sie kann nicht begriffen oder in ein konzeptionelles Modell eingefügt werden. Es gibt auch keinen Weg zu dieser inneren Revolution, denn sie ist weder vorhersehbar noch kontrollierbar und führt ein völlig eigenes Leben. Diese Revolution ist eine Abkehr von den alten, sich wiederholenden, toten Strukturen des Denkens und der Wahrnehmung, in denen die Menschheit gefangen ist. Die Verwirklichung der letztendlichen Realität ist ein direktes und plötzliches, existenzielles Erwachen zu deiner wahren Natur, die die Tür zur Möglichkeit einer innere Revolution öffnet. Eine solche Revolution erfordert ein kontinuierliches Entleeren der alten Bewusstseinsstrukturen und die Geburt einer lebendigen und fließenden Intelligenz. Diese Intelligenz strukturiert dein gesamtes Wesen um – Körper, Verstand und Wahrnehmung. Diese Intelligenz befreit den Verstand von seinen alten Strukturen, die in der Gesamtheit des menschlichen Bewusstseins verwurzelt sind. Wenn du dich nicht von den alten konditionierten Strukturen des menschlichen Bewusstseins befreien kannst, befindest du dich immer noch in einem Gefängnis.

Ein Erwachen zur deiner wahren Natur bedeutet nicht unbedingt, dass es eine kontinuierliche Revolution in der Art und Weise geben wird, wie du das Leben wahrnimmst, mit ihm umgehst und auf es reagierst. Der Moment des Erwachens zeigt uns, was letztendlich wahr und real ist, und offenbart uns eine tiefere Möglichkeit, wie das Leben aus einem ungeteilten und bedingungslosen Seinszustand heraus gelebt werden kann. Aber der Moment des Erwachens garantiert diese tiefere Möglichkeit nicht – wie viele, die ein spirituelles Erwachen erfahren haben, bezeugen können. Das Erwachen öffnet eine Tür zu einer tiefen inneren Revolution, garantiert aber keinesfalls, dass sie stattfinden wird. Ob sie stattfindet oder nicht hängt von vielen Faktoren ab, aber keiner ist wichtiger und ausschlaggebender als eine aufrichtige und klare Absicht für die Wahrheit über alles. Jegliches spirituelle Wachstum hängt letztendlich von dieser aufrichtigen Absicht zur Wahrheit ab, insbesondere dann, wenn sie jegliche persönlichen Vorlieben, Agendas und Ziele transzendiert.

Diese innere Revolution ist das Erwachen einer Intelligenz, die nicht vom Verstand herrührt, sondern von einer inneren Stille des Geistes, die allein dazu imstande ist, alle alten Strukturen deines Bewusstseins zu entwurzeln. Wenn diese Strukturen nicht entwurzelt werden, gibt es kein kreatives Denken, Handeln oder Reagieren. Wenn es keine innere Revolution gibt, kann nichts Neues und Frisches blühen. Nur das Alte, das Wiederholte, das Bedingte wird ohne diese Revolution blühen. Aber unser Potential liegt jenseits des Bekannten, jenseits der Strukturen der Vergangenheit, jenseits von allem, was die Menschheit geschaffen hat. Unser Potential kann nur dann blühen, wenn wir nicht mehr unter dem Einfluss und in den Grenzen des Bekannten gefangen sind. Jenseits des Verstandes, jenseits der Grenzen des konditionierten Bewusstseins der Menschheit liegt das, was du «das Heilige» nennen kannst. Und aus dem Heiligen heraus kann ein neues und fließendes Bewusstsein entstehen, das das Alte wegwischt und die Blüte eines lebendigen und ungeteilten Ausdrucks des Seins zum Leben erweckt. Ein solcher Ausdruck ist weder persönlich noch unpersönlich, weder geistig noch weltlich, sondern vielmehr der Fluss und die Blüte der Existenz jenseits aller Ich-Vorstellungen.

Lasst uns also verstehen, dass die Realität alle unsere Vorstellungen von Realität transzendiert. Die Realität ist weder christlich, hinduistisch, jüdisch, advaita-vedantisch noch buddhistisch. Sie ist weder dualistisch noch nondualistisch, weder spirituell noch nicht spirituell. Wir sollten in Erfahrung bringen, dass in einem Grashalm mehr Realität und Heiligkeit steckt als in all unseren Gedanken und Vorstellungen über die Realität. Wenn wir aus einem ungeteilten Bewusstsein heraus wahrnehmen, werden wir das Heilige in jeglichem Ausdruck des Lebens wiederfinden. Wir werden es in unserer Teetasse wiederfinden, im Herbstwind, beim Zähneputzen, in jedem Augenblick des Lebens und Sterbens. Deswegen müssen wir die ganze Ansammlung konditionierter Gedanken hinter uns lassen und uns vom inneren, roten Faden der Stille ins Unbekannte führen lassen, wo alle Wege enden. Zu dem Ort, zu dem wir unschuldig oder gar nicht gehen – nicht einmal, sondern immer wieder.

Du musst bereit sein, allein zu stehen – im Unbekannten, ohne Bezug auf das Bekannte oder die Vergangenheit oder irgendeine eigene Konditionierung. Du musst dort stehen, wo noch niemand zuvor in völliger Nacktheit, Unschuld und Demut gestanden hat. Du musst in diesem dunklen Licht stehen, in dieser grundlosen Umarmung, unerschütterlich und der Realität völlig jenseits von Ich treu – nicht nur für einen Augenblick, sondern für immer ohne Ende. Denn dann kann das, was heilig, ungeteilt und ganz ist, im Bewusstsein entstehen und anfangen sich zum Ausdruck zu bringen.

Tipp: Siehe einen weiteren kurzen, verwandten Text von Adyashanti hier.

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